Umweltatlas Wattenmeer Bd. 1

Ulmer Verlag, Hrsg. vom Landesamt für den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer & Umweltbundesamt, Red.: Jörn Kohlus & Hila Küpper

Ein Beitrag im Kapitel: Geowissenschaften.

Verweise


Große Unterschiede in der Landschaftsentwicklung Eiderstedts führten zu einer räumlich und zeitlich stark gegliederten Siedlungsgeschichte dieses Teilgebietes.
 

Eiderstedt - Prähistorische Siedlungen und mittelalterlicher Deichbau


D. Meier

Seit dem Mittelalter bilden die drei Harden, Eiderstedt mit Tönning im Süden, Everschop mit Garding in der Mitte und im Norden sowie Utholm mit Westerhever im Westen, die Verwaltungseinheiten der Halbinsel. Sie wurde in der frühen Neuzeit auch “Dreilande” genannt, heute hat sich der Name “Eiderstedt” eingebürgert. Die Halbinsel ist etwa 30 km lang und 15 km breit, und sie trennt - zwischen der Eider im Süden und dem Wattstrom der Hever im Norden - das Dithmarscher Küstengebiet vom Nordfriesischen Wattenmeer im Norden. Die Tümlauer Bucht reicht zwischen Utholm im Süden und Westerhever im Norden mit ihren vorgelagerten Sänden weit nach Osten. Für den Verlauf der jüngeren Landschaftsgeschichte waren die großen Sandwälle von besonderer Bedeutung, wie beispielsweise die sogenannte “Gardinger Nehrung” oder "Eiderstedter Geest", die den nördlichen vom südlichen Teil der Halbinsel trennt (Karte).

Vor etwa 6 000 Jahren bog die Küstenlinie - angenommen wird meist die NN -10 m Tiefenlinie - vom Dithmarscher Geestrand nach Nordwesten um und schloß den südwestlichen Teil der Halbinsel ein. In der Folgezeit verlangsamte sich zwar der nacheiszeitliche Meeresspiegelanstieg, aber stärkere Brandung bei größerer Wassertiefe und große Gezeitenströme entlang der Küstenlinien führten zum teilweisen Abbau alter, saalezeitlicher* Geestkerne* im Westen des heutigen nordfriesischen Wattenmeeres. Die durch das Meer abgebauten Sande und Kiese wurden durch Wind und Strömung nach Südosten verfrachtet und schütteten die in westöstlicher Richtung verlaufenden Sandwälle auf. So entstand vor 3 000 Jahren die Tholendorfer Nehrung und danach der langgestreckte Gardinger Sandwall (MEIER 1994), dessen Profil in einer Sandgrube bei Esing aufgeschlossen ist. Die Bildung der Sandwälle begünstigte die Ablagerung von Sedimenten, auf denen etwa seit der Mitte des letzten vorchristlichen Jahrtausends Marschen aufwuchsen. Diese landeten vor allem südlich der Sandwälle entlang der Eider hoch auf, während das nördlich gelegene Gebiet durch weitere, als Barrieren wirkende Nehrungen* und Geestkerne* im Nordwesten dem direkten Meereseinfluß entzogen wurde und so vermoorte. Teile dieses Moores sind noch heute als Torf in einer Tiefe von NN -l,00 m im nördlichen Teil der Halbinsel vorhanden. Erst nachdem das Meer die Sandwälle durchbrach, lagerten sich auf dem Moor tonige Sedimente ab, auf denen um die Wende des ersten nachchristlichen Jahrtausends niedrige, von vielen Prielen inselartig zerrissene Marschflächen aufwuchsen.

Diese unterschiedliche regionale Entwicklung der Halbinsel beeinflußte in prähistorischer Zeit auch die Anlage der Wohnplätze. Wurden gemäß der archäologischen Funde in der Jungsteinzeit und der Bronzezeit nur die Sandwälle sporadisch begangen, erfaßte im 1. und 2. Jh. n.Chr. erstmals eine Landnahme* die hoch aufgelandeten Ufermarschen längs des windungsreichen Eiderverlaufes. Begünstigt durch einen Stillstand oder Rückgang des Meeres- und Sturmflutspiegels in weiten Bereichen des Nordseeküstenraums entstanden auf den Uferwällen zu ebener Erde angelegte Flachsiedlungen. Ihre Hofplätze mußten jedoch schon bald zu Wurten aufgehöht werden, weil der Einfluß des Meeres wuchs. Während der Ausgrabungen in Tofting von 1949 bis 1952 konnte der Aufbau einer dieser prähistorischen Dorfwurten erschlossen werden (BANTELMANN 1955; BEHRE 1976, 60 ff.). Neben der dichten, platzkonstanten Besiedlung der Seemarschen lagen meist nur kurzfristig besiedelte Wohnplätze in den binnenwärts gelegenen Marschflächen. Es gab weitere auf den Sandwällen, wo auch die Toten in Urnengräberfeldern bestattet wurden (BANTELMANN 1970). Im Zuge der Völkerwanderung verließen die frühen Siedler Eiderstedt, wobei ein vergrabener Hortfund* mit Edelmetall bei Katharinenheerd (MÜLLER-WILLE 1986) auf unruhige Zeiten hindeutet.

Günstige naturräumliche Bedingungen erlaubten erneut im 8. Jh. n.Chr. eine Landnahme* bäuerlicher - vermutlich friesischer - Einwanderer, die sich auf den Sandwällen und den eidernahen Marschen niederließen. Die binnenwärtigen Marschgebiete boten, weil sie teilweise vermoort waren, keine Siedlungsmöglichkeiten, ebensowenig wie der noch unter Meereseinfluß stehende nördliche Teil der Halbinsel. Dort, wo wie am archäologisch umfassend untersuchten Elisenhof hohe Uferwälle zur Verfügung standen, entstanden mehrere Hofstellen als Flachsiedlung, deren Wirtschaftsbetriebe nur langsam erhöht wurden (BANTELMANN 1975), während niedrigere Marschflächen die Siedler in Welt schnell zum Bau hoher Wurten zwangen.

Die Lebensgrundlage der Siedlungen bildete die Viehhaltung, Ackerbau war nur in bescheidenem Umfang möglich. Grundlegend änderten sich die Verhältnisse erst ab dem 12. Jh., nachdem die Marschen bedeicht wurden und ein flächenhafter Landesausbau die gesamte Halbinsel erfaßte. Das binnenwärtige Marschengebiet um Oldenswort und Kotzenbüll wurde entwässert: Die Höfe der Kolonisten zogen sich auf niedrigen, zum Schutz gegen das Binnenwasser errichteten Warften in langen Siedlungsreihen durch die Landschaft, deren schmale Streifenfluren zwischen Witzwort, Oldenswort und Ülvesbüll immer weiter in das Moor vorgestreckt wurden. Hingegen entstanden in den inselartig durch Priele zerschnittenen niedrigen Marschflächen des nördlichen Eiderstedt hohe Warften, die anders als die prähistorischen Wurten nicht mit Mist, sondern ausschließlich mit Klei aufgewarftet wurden. Sie prägen noch heute das Bild der Kulturlandschaft in Westerhever, um Osterhever und Poppenbüll: Stufhusen, Sievertsfleth, Hundorf oder Helmfleth sind ihre Namen.

Da häufig Salzwasser die niedrig aufgelandeten Marschen erfaßte, wurden die Warften im 12. Jh. in einem Arbeitsgang auf NN +3,00 m erhöht, wobei steigende Sturmfluten im 14. Jh. eine weitere Auftragung auf eine Höhe von NN +4,00 m erzwangen, wie Grabungen in Hundorf belegten (MEIER 1992; 1994). Die auf diesen Warften siedelnden Familienverbände begannen, weitgehend unabhängig von obrigkeitsstaatlicher Herrschaft und organisiert in Kirchspielen, selbständig mit der Eindeichung ihres Wirtschaftslandes. In die durch ringförmige Deiche geschützte Wirtschaftsflur wurden anschließend Einzelhofwarften gebaut. Das am besten erhaltene Beispiel einer mittelalterlichen Kulturlandschaft ist der St. Johanneskoog. Ringförmig verläuft hier der niedrige, im 12. Jh. nur NN +1,50 m hohe, im späten Mittelalter erhöhte Sommerdeich. Im Westen und Nordwesten grenzt der Deich an das breite, erst in der Mitte des 15.Jh. abgedämmte Fallstief, im Osten schließt sich mit dem Iversbüller Koog eine Vordeichung in das alte Einbruchsgebiet der Offenbüller Bucht an, die erst in der Neuzeit wieder bedeicht wurde. Kennzeichnend für die jüngeren, durch die Landesherren veranlaßten Deichbauten sind neben ihrer Höhe vor allem deren geradliniger Verlauf, der sich nicht mehr nach dem Naturraum richtet. Die trotz vieler Rückschläge erfolgreiche Zudeichung der Buchten und Abdämmung der großen Prielströme haben das heutige Bild der Halbinsel Eiderstedt nachhaltig geformt.


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