Umweltatlas Wattenmeer Bd. 1

Ulmer Verlag, Hrsg. vom Landesamt für den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer & Umweltbundesamt, Red.: Jörn Kohlus & Hila Küpper

Ein Beitrag im Kapitel: Biologie

Verweise


Zur Kostenreduktion bei der Deichpflege und Erhöhung der Sturmflutsicherheit wurde das Eidersperrwerk errichtet. Andere Sperrwerke wurden schon früher eingerichtet um die Entwässerung zu steuern. Damit wurde in ein Flußökosystem eingegriffen, dessen Morphologie*, Hydrologie und Besiedlung sich einschneidend veränderte.

Die Eider - Ökologische Folgen des Sperrwerkbaus

H. O. Fock

Entlang der Eider liegt das letzte großflächige Tide-Ästuar* und Niederungsgebiet Schleswig-Holsteins. Es umfaßt 62.500 ha und damit 31,2% des gesamten verbliebenen Wassereinzugsgebietes der Eider. Hiervon bilden ca. 60 000 ha das Eider-Treene-Sorge-Niederungsgebiet. Als Kernzonen des Naturschutzes wurden dort 18 000 ha ausgewiesen mit u. a. 1.600 ha unbeeinflußten Nieder- und Hochmoorflächen. Weiterhin liegen in dem Gebiet des Tide-Ästuars ca. 2.500 ha Uferränder mit ökologisch besonders wertvollen Strukturen.

Von den 2.500 ha Vorlandflächen im Bereich des Tideeider entfallen 1.200 ha auf eingedeichte Flächen im Katinger Watt mit nicht standortgerechter Entwicklung der Biotope*, die durch stagnierende Kleingewässer und Aufforstung gekennzeichnet sind. Von den insgesamt 62.500 ha blieben nur 1.300 ha im unmittelbaren Einflußbereich des Flusses. Im Bereich der Tideeider sind es etwa 600 ha breit angelegte Vorlandbiotope* am nördlichen und südlichen Ufer sowie 100 ha als saumförmige schmale Vorlandbiotope und Röhrichte* oberhalb von Tönning. Die übrigen Flächen, einschließlich der Nebenflüsse sind durch Deiche, Sperrwerke und Siele, "gesichert".

Mehr als 61 000 ha des wertvollen Niederungsökosystems wurden vom Fluß abgetrennt und das Flußsystem kompartimentiert*. Ein erheblicher Eingriff in das Ökosystem, wie nachfolgend aufgezeigt wird. So sind durch Sperrwerke drei vollkommen unterschiedliche Gewässertypen entstanden: die gering veränderte Außeneider, die stark beeinflußte Tideeider (Hauptkarte) und die eingestauten und nahezu strömungsfreien Abschnitte der Binneneider (oberhalb von Nordfeld) und der Treene. Gleichwohl hat das Flußsystem der Eider aufgrund seiner geringen Schadstoffbelastung und der verbliebenen Biotoptypenausstattung* ein hohes ökologisches Potential. Zur vorhandenen Biotoptypenausstattung gehören: seewärts gelegene marine Biotoptypen* mit Salzwiesen, marinen Wattflächen und Außensänden, sowie der tidebeeinflußte Übergang zwischen Fluß- und Meerwasser mit trichterförmigem Flußmündungsgebiet, schließlich die Brackwasserzone mit Brackwasserröhrichten* und Brackwassersalzwiesen. Und angrenzend die limnischen Biotoptypen mit Süßwasserwatten, Röhrichten* und Fließgewässerhabitaten in strömungsbedingter Ausbildung.

Durch die Kompartimentierung* des gesamten Flußlaufes in voneinander weitgehend unabhängige Teilabschnitte wurden vormals zusammenhängende Strukturen getrennt und ökologischer Prozesse entkoppelt. Zur Steuerung der Entwässerung wurden flußaufwärts Barrieren errichtet und die Fließrichtung einseitig festgelegt (Karte).

Diese Sperrwerke bilden für die wandernden Fischarten unüberwindliche Hindernisse. Eine augenfällige Folge ist der Rückgang der Störfänge in der Eider in der ersten Hälfte des 20. Jh. Neben der Überfischung ist er auf das Abschneiden der in der Binneneider gelegenen Laichgründe zurückzuführen. Nach 1936 konnten keine Nachkommen mehr aufwachsen. Nur rückkehrende Laichner aus Jahrgängen vor 1936 wurden gefangen.

Für den starken Rückgang des Aalfangs im vergangenen Jahrzehnt ist die Behinderung der Einwanderung von Jungaalen durch den Sperrbetrieb des Eidersperrwerkes ausschlaggebend. Unmittelbar nachdem es errichtet war, wirkte sich der Nadelöhreffekt aus: Die Erträge in der Eider gingen in der Zeit 1970 bis 1978 um fast 3 000 kg jährlich auf 17 000 kg zurück. Zuvor war durch Eutrophierung und dadurch erhöhtes Nahrungsangebot in den 50er-Jahren ein erhöhter Bestand an Aal in der Eider und den übrigen Küstengewässern erreicht worden. Der allgemeine Rückgang des Aalbestandes in den 80er-Jahren begann in der Eider zwei Jahre früher als in den übrigen Küstengewässern und führte in allen Gewässern zu einem historischen Tiefstand. Allerdings ist der Rückgang in der Eider weniger stark ausgeprägt als in den Küstengewässern, was auf die Unterstützung des Aalbestandes durch Besatz zurückzuführen ist.

Auch die benthischen und pelagischen Lebensgemeinschaften werden stark vom Sperrwerk beeinflußt. Die planktischen Lebensgemeinschaften der Treene und Binneneider unterscheiden sich mehr als nur graduell von denen der Tideeider - ein Austausch findet nicht statt (vgl. Fock & Ricklefs in Druck). Gleiches gilt für die sublitoralen* benthischen* Lebensgemeinschaften der Außen- und der Tideeider. Zwei deutlich getrennte Typen von Lebensgemeinschaften entstanden infolge des Eidersperrwerkbaus. Gegenüber einer in der Grafik (Kartenseite unten) angedeuteten typisch ästuarinen* Verteilung ergibt die Korrespondenzanalyse* ab dem Sperrwerk vertikal zueinander stehende Verteilungen, ein deutlicher Hinweis auf die Rolle des Sperrwerks bei der Trennung der Lebensgemeinschaften. Durch den engen Durchlaß des Sperrwerks werden im Strömungsschatten besondere Weichbodengemeinschaften gefördert. Die Biomassedichten im Sublitoral in enger Nachbarschaft zum Sperrwerk erreichten mit 18 g AFTG*/m² fast schon Werte aus dem dicht besiedelten Eulitoral*, ein für Rinnensysteme untypisches Phänomen.

Neben dem Flächenverlust durch Eindeichung und Hochwasserschutz ist der Verlust an Brackwasserbiotopen durch Reduktion der Menge einströmenden Meerwassers besonders gravierend, die einen tiefgreifenden Wandel der Biotopstruktur* bedingt. Eine Zusammenstellung verschiedener Salzgehaltsmessungen inFock & Heydemann (1995) belegt, daß sich der Bereich des Brackwassers seit 1937 stetig zum Meer hin verschoben hat, parallel zur Versandung der Tideeider (Ricklefs, dieser Band). Damit einhergehend hat sich die benthische Gemeinschaftsstruktur geändert. Die marine Gemeinschaft mit den Charakterarten Wattwurm (Arenicola marina) und Herzmuschel (Cerastoderma edule) kommen nur noch in unmittelbarer Nähe des Eidersperrwerkes vor. Auch der Seeringelwurm (Nereis diversicolor) verlor an Lebensraum (Karten rechts). Umgekehrt dringen die Brackwasserröhrichte weit in die ehemaligen Salzwiesen vor und verdrängen diese teilweise ganz aus dem Uferbereich. Durch die Verringerung des Wellenschlags und die Verschiebung der Salinitätsgradienten* traten Röhrichtarten* (Typha sp., Schoenoplectus tabernaemontani, Bolboschoenus maritimus) 1992/94 nun bis fast zur ehemaligen Mündung auf (Detailkarte).

Keine Tide schwingt frei in das Eiderästuar ein. Der Tide- und Sielbetrieb der Sperrwerke führen zu extrem langen Stauzeiten, zur Absenkung des Hochwassers, dem Ausschluß ganzer Tiden und dem Einstau des Niedrigwassers. Über 4 Sommermonate hinweg wurde 1992 der Hochwasserstand um bis zu 40 cm abgesenkt, entsprechend gering fiel auch der durchschnittliche Tidenhub aus: Er betrug tatsächlich nur 198 cm im Vergleich zu üblichen 271 bis 310 cm (ALW Heide 1990, Schuchardt et al. 1993). Die pro Tide in der Eider bewegte Wassermenge sank hierdurch um 29,6%. Der Stoffaustausch wird erheblich beeinflußt und besonders die oberen Wattbereiche einschließlich der Röhrichte durch lange Austrocknung stark gestört. Die Besiedlungsdichte der benthischen Fauna bricht zusammen; so fiel die Populationsdichte des Borstenwurms (Manayunkia aestuarina) 1992 mit Beginn des Niedrigwasserbetriebs von 280 000 Individuen pro m² auf unter 5 000. Eine ähnliche Entwicklung, erst Zusammenbruch und dann langsame Erholung der Bestände, ist auch für die anderen Besiedler des oberen Eulitorals in der Eider zu verzeichnen.


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